Er machte den Menschen Hoffnungen auf ein Leben im Jenseits, in der die genannten Untugenden überwunden sein und in der Liebe, Gerechtigkeit und Gleichheit herrschen würden. Solche Gedanken zu äußern war weniger revolutionär, sondern vielmehr subversiv. Man mag darüber streiten, ob Jesus Christus Gottes Sohn ist, wie er behauptete; man mag daran, dass es Gott gibt, nicht glauben.
Als historische Person, so viel steht für die modernen Historiker fest, kann er sich getrost in die illustre Reihe großer Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela einreihen.
Aber obwohl ich weiß, dass viele der hier anwesenden Demonstrantinnen und Demonstranten nicht religiös im Sinne der christlichen Lehre des Neuen Testaments sind, tun wir mal so, als wären wir alle von der Existenz Gottes überzeugt.
Die alte augustinische Lehre, nach der Heil und Verdammnis des Menschen von vornherein festgelegt wären. gehört im Rahmen der christlichen Lehre seit der Neuzeit endgültig der Vergangenheit an. Der in die Welt geworfene Mensch (so Heidegger) hat grundsätzlich die Chance sich zu bewähren, zum `Guten`ja und zum `Schlechten`nein zu sagen.
Somit richtet Gott am `Jüngsten Tag` die Lebenden und die Toten, deren Schicksal von ihnen wesentlich mitbestimmt und eingeleitet worden ist.
Und so schaut Gott nun auf uns und unsere zivilisatorische Entwicklung.
Was kann er im Hinblick auf den Umgang mit dem Dauerbrenner `Gewalt` hier bei uns Westeuropäern sehen?
In der gesellschaftlichen Ordnung, die wir Demokratie nennen, haben wir die Gewalt monopolisiert. Im Vertrauen darauf, dass die Konflikte, die abseits von friedlichen Aushandlungsprozessen die ultima ratio, also das letzte Mittel der Gewaltanwendung notwendig zu machen scheinen, haben wir Bürger im Interesse unserer Sicherheit der Armee oder Bundeswehr die außenpolitischen und der Polizei die innenpolitischen Angelegenheiten anvertraut.
Sie lösen die so gennannten letzten Konflikte mit harter Hand, wenn dies angezeigt ist. Dies stattet sie mit einer großen Macht aus, die wir `Definitionshoheit` zu nennen pflegen. In der täglichen Praxis der Polizei löst sie Konflikte, wenn nötig, mit Gewalt, arbeitet die Vorkommnisse im Nachgang schriftlich aus (man nennt dies dann Ermittlung) und gibt schließlich den Vorgang nach deren Abschluss an die Staatsanwaltschaft.
Das ist ihr staatlicher, mithin gesetzlicher Auftrag.
Was aber nun, wenn Polizei eine Gewaltauseinandersetzung selber provoziert und eingeleitet hat?
Hier beginnt nun ihr moralischer Auftrag.
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Polizei ermittelt (mangels rechtsstaatlicher Kontrolle einer unabhängigen Instanz) in ihren Reihen die eigenen Provokateure, bestraft und/oder suspendiert sie und gibt ihr Verschulden öffentlich zu,
Das ist die moralische Variante.
2. Sie leugnet (wie Petrus) die Beteiligung an der Provokation der Tat und dreht die Ursache- Wirkungsrelation kraft ihrer Definitionsmacht einfach um.
Das ist die unmoralische Variante.
In Ahlen sind wir Zeuge der unmoralischen und rechtsstaatlich fragwürdigen Variante geworden. Wenn Polizeisprecher Schnafel behauptet, dass der polizeiliche Eingriff durch einen tätlichen Angriff eines Babelsberger Fans ausgelöst wurde, sagt er schlichtweg die Unwahrheit.
Eine Straftat zu leugnen ist ja nun beileibe keine Seltenheit; wer gibt schon gerne zu, dass er sich im Sinne des Gesetzes strafbar gemacht hat?
Wenn aber die Institution, deren Aufgabe die Verhinderung oder lückenlose Aufklärung von Straftaten ist, ihr Verschulden auf die Opfer abwälzt, haben wir es mit einem Staatssystem zu tun, welches in seiner Substanz beginnt, den demokratischen Gedanken zu konterkarieren.
Dann nämlich reproduziert es vermittels Polizei nicht Recht, sondern Unrecht.
Ich möchte mit zwei Zitaten meine Rede beenden, die die Notwendigkeit unseres Engagements am heutigen Tage unterstreicht.
Das erste ist die Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils `Gaudium et spes` von 1965; und zwar im zweiten Teil `Das Leben in der politischen Gemeinschaft` heißt es:
" Ebenso ergibt sich, dass sich die Ausübung der politischen Gewalt in der Gemeinschaft oder in den für sie repräsentierten Institutionen immer nur im Rahmen der sittlichen Ordnung vollziehen darf, und zwar zur Verwirklichung des Gemeinwohls... Wo jedoch die Staatsbürger von einer öffentlichen Gewalt, die ihre Zuständigkeit überschreitet, bedrückt werden ..., haben sie jedoch das Recht, ihre und ihrer Mitbürger Rechte gegen den Missbrauch der staatlichen Autorität zu verteidigen."
Und dann noch Ulrike Meinhoff:
" Wenn die demokratischen Möglichkeiten versagt bleiben, bleibt uns nur noch die Straße, unseren Protest zu artikulieren."
Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit.