Freundinngen der Straße
In der antiken römischen Rechtsordnung bezeichnete man einen besonderen Typus von Verbrecher als `homo sacer`. Übersetzt heißt dies soviel wie `heilger Mensch´.
Aber es wäre irrig zu glauben, dieser Verbrechertyp wäre verehrt worden- ganz im Gegenteil. War ein Mensch per Gesetz als `homo sacer` markiert durfte er von jedermann/jederfrau straflos getötet werden - der sogenannte `heilige Mensch` war nämlich fortan nicht mehr Teil der weltlichen Rechtsordnung und vogelfrei.
Seine Strafe bestand darin, dass er nicht öffentlich, also etwa von staatlich legitimierten Institutionen nach einem allseits geregelten Verfahren - sei es durch den Dolch oder das Schwert - hingerichtet worden wäre - nein: er konnte von jederfrau oder jedermann, ohne strafrechtliche Konsequenzen nach Belieben gelyncht, gevierteilt, vernichtet werden.
Denn der `homo sacer` hatte sein Recht verwirkt; er stand außerhalb der gesetzlichen Ordnung. Die gesetzliche Ordnung hatte aber deshalb dennoch auch für ihn Bestand - denn sie regelte ja mithin seine beliebige Exekutierbarkeit.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die römische Rechtsordnung das Leben jedes einzelnen Menschen umfasste, selbst dann, wenn sie ihn aus ihrem Rechtssystem ausschloss.
Wir leben heute in einem modernen Rechtssystem, welches alle Bereiche unseres Lebens normiert hat. Die Überwachung des geregelten Vollzugs wünschbarer Handlungen geschieht auf eine nahezu perfektionistische Art und Weise nicht nur von außen, sondern auch von innen.
Soll heißen: Wir haben unser Rechtssystem dergestalt verinnerlicht, dass Kontrolle vielfach bereits als Selbstkontrolle funktioniert.
Aber immer, wenn sich individuelle zu kollektiven Verhaltensformen verdichten, in einer Menschenmenge artikuliert werden, die sich aus sich selbst herausgebildet hat oder als Folge eines Ereignisses, wie eines Fußballspiels - dann tritt staatliche Kontrollmacht öffentlich in Erscheinung, und zwar in Gestalt ihrer höchstrespektierlichen Repräsentation: der Polizei.
Und auch hier erfasst die Rechtsordnung alle Anwesenden in totum.
Aber hinsichtlich des Umgangs mit dem `heiligen Menschen`hat sie sich gegenüber der Antike modernisiert.
Den Polizeibeamten stehen nach Fußballspielen eine Menge von potenziellen `homines sacri`gegenüber. Sie können nun Opfer der beliebigen Exekutierbarkeit von polizeilichem Handeln werden- Schlagstöcke, Pfefferspray, willkürliche Festnahmen - alle Mittel von Gewalt sind innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens erlaubt.
Umgedeutet als Reaktion auf Gewalthandeln von Fußballfans sind sie jederzeit nachträglich legitimierbar.
Der Unterschied zwischen der antiken römischen und heutigen Rechtsordnung besteht also vor allem in der funktionellen Veränderung ihrer Repräsentanten- Täter wie Opfer - und ihrer zeitlichen Dimension:
- in der römischen Antike durfte der `homo sacer`von jedem
beliebigen Menschen misshandelt werden, heutzutage nur noch durch
die Polizei
- die vom Recht ausgeschlossenen `heiligen Menschen` waren damals
in der Regel Einzelne; heute beziehen sie sich auf Menschenmengen;
vornehmlich bei Demonstrationen oder Fußballspielen
- früher war der `homo sacer` für ewig bestimmt; heute gilt er nur noch
für den Zeitraum einer Demonstration oder eines Fußballevents
`Fußballfans beobachten die Polizei` ist eine Antwort auf die willkürliche polizeiliche Gewaltpraxis an den `homines sacros` des Fußballs.
Und heute demonstrieren wir `heiligen Menschen`des Fußballs auf der Straße:
am Ort des chauvinistischsten Gewalteinsatzes der Polizei in der Fußballsaison 2010/2011 der Dritten Liga: in Brandenburg!!
Frohe Weihnachten